Lernmodul für Interessierte | Komplementsystem Modul Basis

Basiswissen Komplementsystem

Das Komplementsystem übernimmt eine wichtige Rolle im angeborenen Immunsystem. Erfahren Sie hier, welche Funktionen das Komplementsystem erfüllt, wie es aktiviert wird und welche gesundheitlichen Komplikationen sich bei einer Störung des Komplementsystems ergeben können.

11:30 Min.

Hintergrund: Wie wehrt sich unser Körper gegen Eindringlinge?

Das Komplementsystem ist Teil unseres körpereigenen Immunsystems. Um die Bedeutung und Funktionsweise des Komplementsystems zu verstehen, lohnt es sich, unsere Immunabwehr etwas genauer zu betrachten.

Der menschliche Körper muss sich täglich gegen Eindringlinge wehren. Wichtige Schutzbarrieren sind z. B. die Haut und die Schleimhäute, die den Organismus gegenüber seiner Umwelt abgrenzen. Gelangt ein Krankheitserreger in den Körper, ist es entscheidend, ihn als Eindringling zu erkennen und zu bekämpfen.

Das Immunsystem nutzt mehrere Strategien in der Bekämpfung von Fremdkörpern. Die sogenannte unspezifische Immunabwehr ist nicht auf einen bestimmten Eindringling spezialisiert, sondern stellt eine breit aufgestellte Abwehrfront dar. Die Reaktionsmuster sind angeboren und können unmittelbar nach dem Eindringen eines Krankheitserregers aktiviert werden. Auch das Komplementsystem ist Teil des angeborenen und daher unspezifischen Immunsystems.1,2

Zusätzlich besitzt der Körper auch ein spezifisches Immunsystem, um fremde Strukturen gezielt zu erkennen und bekämpfen. Dieses System benötigt nach dem Kontakt mit einem Eindringling eine gewisse Zeit zur Produktion von Antikörpern, die passgenau auf den jeweiligen Erreger abgestimmt sind. Erst dann kann das spezifische Immunsystem den Erreger effektiv bekämpfen. Nach dem Erstkontakt mit einem Krankheitserreger bildet das lernfähige System ein immunologisches Gedächtnis. Bei einem erneuten Eindringen kann das spezifische Immunsystem dann deutlich schneller reagieren.3

Bestandteile des Immunsystems:

  • Haut und Schleimhäute bilden Schutzbarrieren gegen Eindringlinge
  • Unspezifische Immunabwehr:
    • Schon bei Geburt vorhanden
    • Schnelle, aber unspezifische Erkennung der Erreger
    • Das Komplementsystem ist Teil der unspezifischen Immunabwehr
  • Spezifische Immunabwehr:
    • Lernfähiges System
    • Antikörperbildung, auf Erreger abgestimmt

Übersicht: Was ist das Komplementsystem?

Das Komplementsystem ist ein Netzwerk von mehr als 40 Komplement-Faktoren.1 Es bildet einen wichtigen Mechanismus zum Selbstschutz des menschlichen Körpers. Als Teil der unspezifischen Immunabwehr ist bereits bei der Geburt vorhanden. Damit erfüllt es in der frühkindlichen Phase, der sogenannten Präimmunphase, eine wichtige Schutzfunktion, bevor die Antikörperbildung beginnt.2 Das Komplementsystem bildet lebenslang einen entscheidenden Baustein der Immunabwehr.

Beim Kontakt mit einem Eindringling oder Fremdkörper setzt das Komplementsystem eine Enzymkaskade in Gang, an deren Ende die Vernichtung des Erregers steht. Diese mehrstufige Abwehrreaktion kann durch unterschiedliche Signale ausgelöst werden.2

Zum Einsatz kommen verschiedene Bekämpfungsstrategien: Eindringlinge werden markiert, die Zellen der Immunabwehr werden angelockt und die Erreger durch einen Angriff auf ihre Zellmembran direkt zerstört.2

Auf einen Blick – das Komplementsystem:

  • Baustein der menschlichen Immunabwehr
  • Komplexe Zusammenarbeit von mehr als 40 Komplement-Faktoren
  • Feindbekämpfung durch Zerstörung der Zellen

Funktionsweise: Welche Aufgaben hat das Komplementsystem?

Eine grundlegende Strategie bei der Bekämpfung von Krankheitserregern ist deren Markierung durch Proteine. Damit werden Krankheitserreger und auffällige Zellen des eigenen Körpers eindeutig gekennzeichnet. Das Komplementsystem kann hierbei eigenständig gewisse fremdartige Strukturen erkennen. Es arbeitet zudem eng mit dem spezifischen Immunsystem zusammen und unterstützt die Bekämpfung von Krankheitserregern, die bereits durch individuelle Antikörper markiert wurden.3

Die markierten Feinde werden vom Immunsystem auf verschiedenen Ebenen angegriffen und neutralisiert. Dazu wird eine komplexe mehrstufige Reaktionskette in Gang gesetzt. Durch die Freisetzung von sogenannten Anaphylatoxinen - Substanzen mit entzündungsauslösender Wirkung - werden spezielle Immunzellen und Fresszellen angelockt sowie Entzündungsprozesse gefördert. Die Gefäße in der betroffenen Region werden durchlässiger, so dass die Immunzellen den Weg zum Infektionsort leichter finden. Dort angekommen erkennen z. B. die Fresszellen die markierten Erreger, nehmen diese (siehe Grafik) in ihr Zellinneres auf und verdauen sie.1,4

Zudem bildet das Komplementsystem einen Membranangriffskomplex, der die zu bekämpfenden Zellen direkt angreift: Die Zellmembran wird geschädigt, indem Poren in der Zellmembran gebildet werden. Durch diese können Wasser und Ionen in die Zelle eindringen bzw. ausfließen und sie zerstören. Das ist vergleichbar mit einem Weinfass, das angebohrt wird, so dass der Wein unkontrolliert ausfließen kann.

Eine wichtige Aufgabe des Komplementsystems ist die Regulierung der Immunantwort, um eine angemessene Reaktion des Körpers auf Eindringlinge sicherzustellen.

Das Komplementsystem spielt nicht nur bei der Immunabwehr, sondern auch bei der Blutbildung (Hämatopoese), der Fortpflanzung und der Organregeneration eine wichtige Rolle. Durch die komplexe Vernetzung unterstützt es den Körper, das sensible Gleichgewicht der verschiedenen Systeme zu erhalten.1,2

Aufgaben des Komplementsystems:

  • Markierung von Mikroorganismen
  • Anlocken von Immunzellen durch Entzündungsprozesse
  • Zerstörung von Eindringlingen

Aktivierung: Wie wird das Komplementsystem aktiviert?

Das Komplementsystem kann im Wesentlichen durch drei unterschiedliche Wege aktiviert werden: Durch den klassischen Weg, den alternativen Weg oder den Lektin-Weg.3

  1. Klassischer Weg: Hier erfolgt das Andocken von Komplementproteinen an Antikörper, die ihrerseits schon einen Krankheitserreger markiert haben. Das Komplementsystem arbeitet hier eng mit der spezifischen Immunabwehr zusammen.
  2. Alternativer Weg: Es erfolgt eine direkte Anlagerung von Aktivierungsproteinen an Mikroorganismen, geschädigtes Gewebe oder körperfremde Strukturen ohne Einbeziehung von Antikörpern erfolgen.
  3. Lektin-Weg: Es lagern sich Aktivierungsproteine des Komplementsystems an Zuckergruppen an, die auf der Bakterienoberfläche sitzen.

Unabhängig vom Aktivierungsweg wird immer eine kaskadenartige Enzymreaktion ausgelöst, an deren Ende die Zerstörung der Zellmembran des Krankheitserregers und das Auslösen weiterer Bekämpfungsmechanismen stehen. Man kann sich dies vorstellen wie bei einer Reihe von Dominosteinen, bei der durch den Fall eines Dominosteins der Sturz des nächsten Steins ausgelöst wird.

Entscheidend ist, dass diese Kettenreaktion kontrolliert verläuft. Reagiert das System fehlerhaft, kann eine unangemessene Aktivierung des Immunsystems erfolgen. Daher verfügt das Komplementsystem zusätzlich über Regulatoren, die eine überschießende Aktivierung verhindern. Nur ein Gleichgewicht aller beteiligten Faktoren führt zu einem gut funktionierenden und ausbalancierten Immunsystem.5, 6

Ablauf der Komplementkaskade:

  • Unterschiedliche Startpunkte:
    • Klassischer Weg
    • Alternativer Weg
    • Lektin-Weg
  • Kaskadenartige Enzymreaktion läuft ab
  • Wichtig ist der kontrollierte Ablauf der Reaktionskette

Video: Das Komplementsystem

Auswirkungen: Was passiert bei Störungen des Komplementsystems?

Der kaskadenartige Ablauf der Immunreaktion des Komplementsystems wird an zahlreichen Stellen durch Enzyme gesteuert und reguliert. So wird einerseits eine angemessene Reaktion sichergestellt, andererseits eine zu starke Aktivierung der Immunabwehr verhindert. Diese ausbalancierte und fein regulierte Immunantwort kann an verschiedenen Stellen gestört sein.5, 6

So kann z.B. ein Mangel an bestimmten Proteinen der Aktivierungskaskade vorliegen. Auch die Regulation des Komplementsystems kann betroffen sein, wodurch der Körper unter bestimmten Umständen mangelhaft oder überschießend reagiert.7, 8

Wird das fein ausbalancierte Gleichgewicht der Komplementreaktionen gestört, kann sich das auf vielfältige Weise auf den Organismus auswirken. Oft zeigen sich eine Reihe von unspezifischen Symptomen, die auch bei anderen Erkrankungen auftreten können.9 Das erschwert die Diagnose. So dauert es teils mehrere Jahre, bis nach zahlreichen Arztbesuchen die Erkrankung erkannt wird und eine entsprechende Therapie erfolgt.10

Die meisten Komplementerkrankungen zählen zu den seltenen Erkrankungen (engl.: rare orphan diseases).11 Von seltenen Erkrankungen spricht man, wenn weniger als 500 von 1 Million Menschen betroffen sind.10

Es sind sowohl komplementassoziierte Erkrankungen bekannt, bei denen das Komplementsystem überschießend reagiert, als auch Störungen, bei denen durch einen Mangel an Komplementfaktoren eine unzureichende Reaktion erfolgt.

Ein Beispiel für eine übermäßige Komplementaktivierung stellt das atypische Hämolytisch-Urämische Syndrom (aHUS) dar. Bei diesem Krankheitsbild werden Gefäßwände geschädigt, wodurch sich Blutgerinnsel in den kleinsten Gefäßen bilden und letztlich zu Organschäden führen.2

Komplementdefekte, die sich durch einen Mangel an Komplementfaktoren auszeichnen, haben eine beeinträchtigte Immunabwehr zur Folge. Dies ist der Fall, wenn ein Protein des Komplementsystems nicht oder nur in reduzierter Form gebildet wird. Das kann eine verstärkte Anfälligkeit für Infektionserkrankungen zur Folge haben. Insbesondere Krankheitserreger, die mit einer Kapsel umhüllt sind - wie Pneumokokken und Meningokokken - können dann vom Körper nicht oder nur schlecht abgewehrt werden.9, 12 Zum Teil zeigt sich bei den Betroffenen eine generelle Neigung zu Infektionen.2

Bei einer fehlerhaften Aktivierung des Komplementsystems durch Autoantikörper können körpereigene Gewebe geschädigt werden. Während Antikörper normalerweise körperfremde Strukturen erkennen und markieren, richten sich Autoantikörper gegen gesunde körpereigene Zellen. Diese Krankheiten, bei denen die Immunabwehr den eigenen Körper angreift, werden Autoimmunerkrankungen genannt. Dazu zählen z.B. die generalisierte Myasthenia gravis (gMG) oder die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD). In diesen Fällen ist der kaskadenartige Ablauf der Komplementreaktion nicht gestört. Da die Autoantikörper jedoch Zellen des eigenen Körpers markiert haben, richtet sich das Komplementsystem hier nicht gegen Krankheitserreger oder Fremdkörper, sondern stuft die körpereigenen Zellen als Eindringling ein.

Eine fehlgeleitete Komplementreaktion kann auch durch fehlende Schutzmechanismen ausgelöst werden.5 Rote Blutkörperchen (Erythrozyten) haben spezielle Schutzproteine, die einen Angriff des Komplementsystems verhindern. Bei Patient:innen mit einer Paroxysmalen Nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) fehlen diese Schutzproteine auf den Erythrozyten. Die Folge ist eine Zerstörung von roten Blutkörperchen durch einen Angriff des Komplementsystems.2,5

Störungen des Komplementsystems:

  • Typisch sind Auswirkungen auf unterschiedliche Organsysteme.
  • Übermäßige Komplementaktivierung schädigt das Gewebe.
  • Fälschliche Aktivierung kann körpereigene Zellen zum Ziel haben.
  • Erythrozyten können bei fehlendem Schutz vom Komplementsystem zerstört werden.
Referenzen:
  1. Merle, Nicolas S., Sarah Elizabeth Church, Veronique Fremeaux-Bacchi, und Lubka T. Roumenina. „Complement System Part I – Molecular Mechanisms of Activation and Regulation“. Frontiers in Immunology 6 (2015): 262. https://doi.org/10.3389/fimmu.2015.00262.
  2. Kirschfink, Michael. „Komplementsystem und Komplementdefekte“. In Pädiatrie, herausgegeben von Georg F. Hoffmann, Michael J. Lentze, Jürgen Spranger, und Fred Zepp, 738–43. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2014. https://doi.org/10.1007/978-3-642-41866-2_77.
  3. Dunkelberger, Jason R. und Wen-Chao Song. „Complement and Its Role in Innate and Adaptive Immune Responses“. Cell Research 20, Nr. 1 (Januar 2010): 34–50. https://doi.org/10.1038/cr.2009.139.
  4. Carroll, Michael C. „The Complement System in Regulation of Adaptive Immunity“. Nature Immunology 5, Nr. 10 (Oktober 2004): 981–86. https://doi.org/10.1038/ni1113.
  5. Baines, Andrea C., und Robert A. Brodsky. „Complementopathies“. Blood Reviews 31, Nr. 4 (Juli 2017): 213–23. https://doi.org/10.1016/j.blre.2017.02.003.
  6. Schröder-Braunstein, Jutta, und Michael Kirschfink. „Complement Deficiencies and Dysregulation: Pathophysiological Consequences, Modern Analysis, and Clinical Management“. Molecular Immunology 114 (Oktober 2019): 299–311. https://doi.org/10.1016/j.molimm.2019.08.002.
  7. Melis, Joost P. M., Kristin Strumane, Sigrid R. Ruuls, Frank J. Beurskens, Janine Schuurman, und Paul W. H. I. Parren. „Complement in Therapy and Disease: Regulating the Complement System with Antibody-Based Therapeutics“. Molecular Immunology 67, Nr. 2 Pt A (Oktober 2015): 117–30. https://doi.org/10.1016/j.molimm.2015.01.028.
  8. Morgan, B. Paul, und Claire L. Harris. „Complement, a Target for Therapy in Inflammatory and Degenerative Diseases“. Nature Reviews. Drug Discovery 14, Nr. 12 (Dezember 2015): 857–77. https://doi.org/10.1038/nrd4657.
  9. Tudoran, Ruxandra, und Michael Kirschfink. „Moderne Komplementanalytik Indikationen – Methodik – Perspektiven/Modern complement analysis: indications, methods and outlook“. Laboratoriumsmedizin 36, Nr. 3 (1. Januar 2012). https://doi.org/10.1515/labmed-2012-0003.
  10. Evans, William RH, und Imran Rafi. „Rare Diseases in General Practice: Recognising the Zebras among the Horses“. British Journal of General Practice 66, Nr. 652 (November 2016): 550–51. https://doi.org/10.3399/bjgp16X687625.
  11. Göschl, Lisa, Matthias Vossen, Clemens Scheinecker, Katharina Grabmeier-Pfistershammer, Winfried F. Pickl, und Elisabeth Förster-Waldl. „Diagnostik und Therapie bei primären Immundefekten/‚inborn errors of immunity‘“. Wiener klinische Wochenschrift Education 14, Nr. 1–4 (Dezember 2019): 65–79. https://doi.org/10.1007/s11812-020-00098-1.
  12. Pettigrew, H. David, Suzanne S. Teuber, und M. Eric Gershwin. „Clinical Significance of Complement Deficiencies“. Annals of the New York Academy of Sciences 1173, Nr. 1 (September 2009): 108–23. https://doi.org/10.1111/j.1749-6632.2009.04633.x.

Quiz

Ab wann ist das Komplementsystem aktiv?
Welche Aufgaben hat das Komplementsystem? (Mehrfachantwort möglich)
Was ist eine Aktivierungsmöglichkeit des Komplementsystems?
Warum ist eine feine Regulierung des Komplementsystems notwendig? (Mehrfachantwort möglich)

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